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Ablauf der Befunderhebung in der Physiotherapie

Die Befunderhebung ist ein entscheidender Prozess in der Physiotherapie, da sie den Grundstein für die gesamte Behandlung legt. Durch eine sorgfältige und systematische Erhebung des Befundes können Physiotherapeuten ein genaues Bild der Beschwerden, Einschränkungen und individuellen Bedürfnisse ihrer Patienten gewinnen. Diese Informationen sind unverzichtbar, um eine gezielte und wirksame Therapie zu planen, die den größtmöglichen Behandlungserfolg verspricht.

Im Folgenden wird der Ablauf einer professionellen Befunderhebung in der Physiotherapie beschrieben und erklärt, warum jeder Schritt für die Diagnose und den Therapieerfolg von Bedeutung ist.

1. Die Anamnese – Der erste Schritt zur Ursachenfindung

Die Anamnese bildet den Beginn der Befunderhebung und besteht aus einem detaillierten Gespräch zwischen Therapeut und Patient. Hierbei werden die aktuelle Problematik, der Verlauf der Beschwerden sowie frühere Verletzungen oder Vorerkrankungen erfasst. Ziel der Anamnese ist es, ein möglichst vollständiges Bild der Beschwerden zu bekommen und alle möglichen Einflussfaktoren zu erkennen.

Typische Fragen in der Anamnese könnten sein:

  • Seit wann bestehen die Beschwerden?
  • Wodurch werden die Schmerzen ausgelöst oder verschlimmert?
  • Gibt es bestimmte Bewegungen oder Haltungen, die Erleichterung verschaffen?
  • Welche Vorbehandlungen oder medizinischen Maßnahmen wurden bereits durchgeführt?

Zusätzlich erfragt der Physiotherapeut persönliche Faktoren wie den Beruf, sportliche Aktivitäten oder das allgemeine Aktivitätsniveau des Patienten. Auch psychosoziale Aspekte können von Bedeutung sein, da Stress und mentale Belastung oft mit körperlichen Symptomen einhergehen.

2. Inspektion – Beobachtung und Analyse

Nach der Anamnese erfolgt die Inspektion, bei der der Therapeut den Patienten genau beobachtet. Bereits das äußere Erscheinungsbild, die Körperhaltung und die Art und Weise, wie der Patient sich bewegt oder steht, können wichtige Hinweise auf die zugrunde liegenden Probleme geben.

Besondere Aufmerksamkeit gilt hierbei asymmetrischen Haltungen, Schonhaltungen oder Auffälligkeiten in der Bewegungsausführung. Anzeichen wie Muskelverspannungen, Schwellungen oder Hautveränderungen werden ebenfalls genau untersucht, da sie auf Entzündungen oder andere physische Veränderungen hinweisen könnten.

3. Palpation – Ertasten von Strukturen

Bei der Palpation, also dem gezielten Abtasten der Körperstrukturen, nutzt der Physiotherapeut seinen Tastsinn, um Muskulatur, Sehnen, Bänder und Gelenke auf eventuelle Spannungen, Verhärtungen oder Schmerzempfindlichkeiten zu untersuchen. Durch sanften Druck auf spezifische Punkte lässt sich feststellen, ob es sogenannte „Triggerpunkte“ gibt, also Bereiche erhöhter Muskelspannung, die oft Ursache für Schmerzausstrahlungen sind.

Die Palpation hilft auch dabei, mögliche Schwellungen, Entzündungen oder Verletzungen wie Band- und Sehnenreizungen zu identifizieren. Diese Technik erfordert ein hohes Maß an Erfahrung und Wissen über die Anatomie, da der Therapeut verschiedene Gewebestrukturen unterscheiden und beurteilen muss.

4. Funktionelle Tests und Bewegungstests

Bewegungstests gehören zu den wichtigsten Bestandteilen der Befunderhebung, da sie direkte Rückschlüsse auf die Funktionsfähigkeit und Einschränkungen des Bewegungsapparates erlauben. In diesem Schritt wird die Beweglichkeit der Gelenke getestet, die Kraft der Muskulatur geprüft und das Zusammenspiel verschiedener Muskelgruppen untersucht.

Zu den gängigen Tests zählen:

  • Bewegungsumfangstests: Hierbei wird die Reichweite eines Gelenks ermittelt. Bei eingeschränktem Bewegungsradius lassen sich oft Rückschlüsse auf die Ursache der Beschwerden ziehen.
  • Krafttests: Mithilfe gezielter Muskeltests prüft der Physiotherapeut die Kraft bestimmter Muskelgruppen. Ein Muskelkrafttest kann Hinweise auf muskuläre Dysbalancen oder Schwächen liefern.
  • Koordinations- und Gleichgewichtstests: Diese Tests helfen, das Zusammenspiel der Muskeln und die Bewegungskoordination zu beurteilen, was insbesondere bei neurologischen oder orthopädischen Problemen von Bedeutung ist.

5. Spezielle Tests und Funktionsproben

In manchen Fällen sind spezielle Tests erforderlich, um spezifische Verdachtsdiagnosen zu bestätigen oder auszuschließen. Diese Tests können z. B. für bestimmte Gelenkstrukturen (wie das Schultergelenk oder das Knie) oder für die Nervenfunktion (wie der Lasegue-Test zur Prüfung des Ischiasnervs) durchgeführt werden.

Einige dieser Tests erfordern spezielles Wissen und Technik und geben detaillierte Informationen über den Zustand der untersuchten Strukturen. Sie können helfen, die Diagnose weiter zu präzisieren und dadurch die Therapie optimal auf die individuellen Bedürfnisse des Patienten anzupassen.

6. Dokumentation der Befunde

Alle erhobenen Daten und Testergebnisse werden sorgfältig dokumentiert. Diese Aufzeichnungen sind nicht nur wichtig für die Planung und Umsetzung der Therapie, sondern dienen auch als Grundlage für den späteren Verlauf. Die Dokumentation ermöglicht es dem Physiotherapeuten, die Fortschritte des Patienten im Laufe der Zeit nachzuverfolgen und die Therapie bei Bedarf anzupassen.

7. Zusammenfassung und Therapieplanung

Nachdem alle notwendigen Informationen gesammelt und dokumentiert wurden, fasst der Physiotherapeut die Ergebnisse der Befunderhebung zusammen. Anhand der gewonnenen Erkenntnisse wird ein individuelles Therapieprogramm erstellt, das auf die spezifischen Bedürfnisse und Beschwerden des Patienten eingeht.

Eine präzise Therapieplanung ist entscheidend für den Erfolg der Behandlung. Je nach Befund können die Schwerpunkte auf Schmerztherapie, Mobilisierung, Kraftaufbau oder Bewegungskoordination gelegt werden. Der Therapeut bespricht das Therapieprogramm mit dem Patienten und klärt ihn über die Ziele und den Ablauf der Behandlung auf.

Fazit: Die Bedeutung der professionellen Befunderhebung

Die Befunderhebung ist in der Physiotherapie ein strukturierter und gründlicher Prozess, der eine exakte Analyse der Beschwerden und Einschränkungen eines Patienten ermöglicht. Sie stellt sicher, dass die gewählte Therapie zielführend und individuell angepasst ist. Ein umfassendes Bild der Symptome, der physischen Einschränkungen und möglicher Ursachen ist unerlässlich, um den Patienten bestmöglich zu behandeln und den Therapieerfolg langfristig zu sichern.

Für den Physiotherapeuten ist die Befunderhebung eine anspruchsvolle Aufgabe, die Fachwissen, Erfahrung und Einfühlungsvermögen erfordert. Aber durch eine gründliche und systematische Vorgehensweise wird der Patient von Beginn an optimal unterstützt und kann auf eine wirksame und nachhaltige Therapie hoffen.